Wolfsverordnung: Stellungnahme der LK
Trotzdem sind aus Sicht der Landwirtschaftskammer Vorarlberg weitere Schritte notwendig. Dazu gehört insbesondere auch die Senkung des Schutzstatus des Wolfes auf EU Ebene. Deshalb hat die Landwirtschaftskammer Vorarlberg eine Stellungnahme zur Thematik an das Land Vorarlberg adressiert. Die darin vorgeschlagenen Änderungen bzw. die genannte Verordnung sind ein erster Ansatz um der Bedrohung von Weidetieren, Haustieren und Menschen durch das Großraubtier Wolf aktiver zu begegnen. Unsere Weidewirtschaft auf den Alpen, Vorsäßen und Talweiden fördert Biodiversität und Tierwohl. Sie ist höherwertig als die Wiederansiedlung von Raubtieren. Wir fordern daher, dass in Vorarlberg mit seiner traditionellen Weide- und Alpwirtschaft, grundsätzlich Weideschutz vor Wolfsschutz gilt. Die Bestände und die Anzahl der Rudel müssen europaweit, durch aktives Wolfsmanagement niedrig gehalten werden. Dadurch wird die Ausbreitung in andere Regionen verhindert. Problem- und Schadwölfe sind umgehend zu entnehmen.
Starke Zunahme
Das Großraubtier Wolf vermehrt sich mit einer Rate von rund 30 Prozent jährlich, mit über 20.000 Individuen ist der Wolf in fast ganz Europa weit verbreitet und schon lange nicht mehr vom Aussterben bedroht. Die Weltnaturschutzunion IUCN hat bereits darauf reagiert und den Wolf von der roten Liste der bedrohten Tierarten gestrichen. Die Europäische Kommission schlägt vor, den Schutzstatus des Wolfes von „streng geschützt“ zu „geschützt“ herabzustufen. Gleichzeitig fordert die Kommission, die nationalen und lokalen Behörden weiterhin nachdrücklich dazu auf, mit Unterstützung der EU im derzeitigen Rahmen die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, und stellt ihnen weitere Spielräume für das Wolfsmanagement in Aussicht, falls sich die bestehenden als unzureichend erweisen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: „Die Rückkehr des Wolfes ist eine gute Nachricht für die Artenvielfalt in Europa.“ Die Dichte der Wolfsrudel in einigen europäischen Regionen ist inzwischen jedoch zu einer echten Gefahr geworden, insbesondere für die Nutztierhaltung.“ Wenn man nach Frankreich blickt, wo mittlerweile jährlich weit über 10.000 Nutztiere gerissen werden, kann man erahnen, dass die Wiederansiedelung der Wölfe diesen Strukturwandel, der sich aktuell verlangsamt hat, wieder beschleunigen wird. Durch den strengen Schutzstatus des Wolfes wird der bestehende gesellschaftliche Konsens zur Erhaltung der Weide- und Alpwirtschaft, der sich seit Jahrzehnten in umfangreichen Programmen der Gemeinsamen Agrarpolitik abbildet, zunehmend in Frage gestellt. Faktisch finden gerade in der Landwirtschaft im Alpenraum erhebliche strukturelle Veränderungen statt. Seit dem Jahr 1980 wurden in Österreich rund 50 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe aufgegeben. Die heimische Land- und Forstwirtschaft zeichnet sich durch ihre Kleinstrukturiertheit aus. Ein erheblicher Teil der landwirtschaftlichen Betriebe wird im Nebenerwerb geführt. Das bedeutet, dass die land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit in der Freizeit, am Wochenende und an den Urlaubstagen verrichtet wird. Jegliche zusätzliche Arbeitsbelastung stellt die Betriebsleiter vor große Herausforderungen. Der Erhalt unserer kleinstrukturierten, bäuerlichen und auch flächendeckenden Landwirtschaft als Basis für die Versorgung der Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln und Grundlage für den Tourismus ist von zentralem öffentlichem Interesse. Dies trifft insbesondere auch auf die Alpen zu, die für die heimische Landwirtschaft von enormer Bedeutung sind.
Niedergang verhindern
In Vorarlberg werden rund 520 Alpen mit einer Gesamtfläche von ca. 70.000 Hektar und einer Alpfutterfläche (Reinweidefläche) von rund 35.000 Hektar bewirtschaftet. Auf rund 30 Prozent der Gesamtfläche Vorarlbergs wird Alpwirtschaft betrieben. 2.500 landwirtschaftliche Betriebe trieben 2022 rund 40.000 Tiere hinauf. Die Anzahl der bewirtschafteten Alpen und die Alpflächen gehen seit Jahren zurück. Dies hat vielfältige Ursachen. Gerade die unkontrollierte Ausbreitung der Wölfe kann aber zum Niedergang der Alpwirtschaft führen. Entweder führt der entstehende Sachschaden durch Nutztierrisse oder der unzumutbar hohe und unverhältnismäßige Aufwand für Herdenschutzmaßnahmen, der von den kleinstrukturierten (Nebenerwerbs-) Betrieben nicht gestemmt werden kann dazu, dass die Tiere nicht mehr gealpt werden. Beides ist verbunden mit einer enormen psychischen Belastung für Älpler/-innen und Tierhalter/-innen. Eine massive Aufgabe der Alpwirtschaft steht zu befürchten! Die vorliegenden Zahlen zeigen, dass die Entwicklung der Schäden mit Zunahme der Wolfsindividuen, ohne ein aktives Wolfsmanagement, exponentiell wächst. Die Durchführung von Herdenschutzmaßnahmen, die das gealpte Vieh vor den Beutegreifern wirksam schützen können, stellt faktisch aufgrund des enormen Aufwandes keine Möglichkeit in Form einer anderweitigen zufriedenstellenden Lösung dar. Maßnahmen sind aufgrund der gegebenen Topografie, der naturräumlichen Gestaltung und der Bodenverhältnisse weder verhältnismäßig noch zumutbar. Zudem würden sie weitreichende Haftungsfolgen (Beißattacken von Herdenschutzhunden) nach sich ziehen, da der Großteil der heimischen Alpen auch einer touristischen Nutzung unterzogen wird. Der personelle Aufwand würde den Kostenrahmen der Alpbewirtschaftung sprengen.
Erfahrungen nutzen!
Die Erfahrungen Frankreichs zeugen eindrucksvoll davon, dass ohne Abschüsse keine Verbesserung beim Schutz von Nutztieren erzielt werden kann. Sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz hat sich gezeigt, dass sich Wölfe sehr schnell an Herdenschutz anpassen und auf diesen reagieren. In Frankreich, nach der Umsetzung von fast flächendeckendem Herdenschutz, erfolgen 95 Prozent der Wolfsangriffe auf geschützte Herden und jeder zweite Angriff am Tag (Dr. Laurent Garde, Doktor der Ökologie und Anthropologie, Forschungsinstitut für die Ausführung der Weidewirtschaft in den Alpes mediterranée). Nachtpferche können die Tiere nicht dauerhaft schützen. Erst nachdem in die Schutzstrategie der aktive Herdenschutz mittels Abschuss aufgenommen wurde, konnte in Frankreich die Zunahme von Angriffen und Risszahlen eingedämmt werden. In der Schweiz ist die Lage ähnlich, auch dort hat sich das Großraubtier an den Herdenschutz angepasst und es erfolgen bereits über 70 Prozent der Angriffe auf geschützte Herden (Marcel Züger, Wildbiologe vom Ökobüro „Pro Valladas“ aus Graubünden) und auch dort erfolgt nunmehr die aktive Entnahme von Wölfen durch Abschüsse mit dem Ziel die Anzahl der Tiere und Rudel wesentlich zu reduzieren. In unserem Nachbarland kann infolge der aktiven Entnahmen, erstmals seit Einführung von Reduktionsabschüssen 2022 ein Rückgang der Risse, insbesondere in den Kantonen Wallis und Graubünden festgestellt werden. Zahlreiche Experten sehen in Abschüssen jene Lösung, die Wölfe wieder scheuer werden lässt und von Nutztierherden abschreckt. Aber selbst wenn flächendeckender Herdenschutz theoretisch umgesetzt werden könnte, würde dies auch die Sicherheitsbedenken der lokalen Bevölkerung nicht lösen. Wölfe können eine Gefahr für den Menschen darstellen. Angriffe auf Menschen sind selten, aber nicht ausgeschlossen. Insgesamt wurden zwischen 2010 und 2018 130 Angriffe von Wölfen auf Menschen registriert, denen 302 Personen, darunter 24 Tote, zum Opfer fielen. (Quelle: Bericht Deutscher Bundestag, shorturl.at/grGX6)
Biodiversität vor Wolf
Die Weidehaltung ist auch die Ursache für die hohe Biodiversität auf den extensiven Weideflächen, insbesondere auf den Alpen. Diese extensiven Weideflächen bzw. Alpweideflächen konnten sich erst durch die landwirtschaftliche Bewirtschaftung etablieren. Der Naturzustand in den beweideten Regionen Österreichs wäre Wald. Dieser ist durch eine wesentlich geringere Artenvielfalt als die extensiven Weideflächen geprägt. Jeglicher Rückgang der Beweidung ist daher auch eine Bedrohung für die Artenvielfalt. Tatsache ist, dass ein Rückgang von aufgetriebenem Weidevieh das über jahrhundertelange Beweidung entstandene Ökosystem Alp gefährdet, das ökologische Gefüge verändert und viele negative Entwicklungen nach sich zieht (z. B. Verlust von Artenvielfalt, Zunahme der Gefahr von Muren und Lawinen etc.). Die Aufrechterhaltung der Beweidung mit Weidevieh ist grundlegend, wenn es um den Erhalt der Alpbewirtschaftung geht. Ohne Beweidung geht die alpine Graslandschaft verloren und es kommt zur Verbuschung bzw. in niederen Bereichen zur Verwaldung. Damit einher geht auch der Verlust von Biodiversität.
Tourismus besorgt
Gerade die heimischen Alpen erfreuen sich als Ausflugsziele für Wanderer etc. steigender Beliebtheit. Die Erhaltung der Alpwirtschaft ist daher nicht nur von agrarwirtschaftlichem oder ökologischem Interesse, sondern darüber hinaus auch von volkswirtschaftlichem Interesse. Darüber hinaus entwickeln sich gerade auch in jüngster Zeit zahlreiche touristische Angebote vor allem auf oder im Umkreis von Alpen. Die Erhaltung der traditionellen Alpwirtschaft kann daher als eine zentrale Grundlage für eine positive Entwicklung des Tourismus in Österreich gesehen werden. Die Tourismusbranche zeigt sich über die jüngsten Entwicklungen zunehmend besorgt. Es mehren sich laut Anbietern die Anfragen von Gästen, ob Wanderungen auf den Alpen noch sicher wären, nicht nur wegen der Gefahr durch Wölfe, sondern auch wegen möglicher Beeinträchtigungen durch Herdenschutzmaßnahmen.
Richtlinienänderung
Artikel 16 der FFH-Richtlinie bestimmt, dass etwaige Entnahmen von Wölfen unter anderem dann erfolgen können, wenn es „keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt“. Die Anwendungspraxis zeigt, dass diese Formulierung einen sehr breiten Ermessensspielraum beinhaltet, der von Rechtsanwendern und Gerichten unterschiedlich interpretiert wird. Bei der Bewertung etwaiger Alternativmaßnahmen ist die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit unerlässlich. Dieser Ansatz wird bereits in der EU-Verordnung Nr. 2472/2022 verfolgt, wo im Art. 29 Abs. 7 mit Blick auf Präventionsmaßnahmen betont wird, dass diese nicht anzuwenden sind, wenn diese „nach vernünftigem Ermessen nicht möglich sind“. Klarheit muss auch bei der Voraussetzung des Verweilens „in einem günstigen Erhaltungszustand“ geschaffen werden. Dem Wortlaut gemäß hat dieser „in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet“ zu bestehen, was unterschiedlich gehandhabt wird. Dies wird teilweise ausschließlich auf die – oft sehr engen – administrativen Grenzen bezogen. Der Wolf hält sich aber nicht an Staatsgrenzen. Stattdessen muss, wie von Wildtierbiologen gefordert, eine Betrachtungsweise nach den jeweiligen Populationen erfolgen und der Richtlinientext entsprechend angepasst werden. Die geografische Bezugsgröße für die Bewertung des Erhaltungszustands kann bei einer großräumig aktiven Art, deren natürliches Verbreitungsgebiet den gesamten Raum, einschließlich Siedlungsgebiet und Kulturlandschaften umfasst (vgl. EuGH Rs. C-88/19, Rumänien, Rn. 38 f.), nur die Population sein. IUCN hat eine einheitliche paneuropäische Metapopulation definiert, das LCIE (2022) unterscheidet noch einmal neun Unterpopulationen, aber keinesfalls können Verwaltungseinheiten als Bezugsgröße für die Bewertung des Erhaltungszustands geeignet sein.